Schlagwort: Leben und Tod

ALLES HALB SO WILD! (…paradoxe Nasenpulerei)

Inspiration:

Die bevorstehende Nasen-OP einer lieben Freundin, der ich mit dieser Mail etwas Mut bereiten möchte, weil ich das auch schon hinter mir habe.

Und ein Text von Horst Evers, den ich Tags zuvor las und mir zur „Steilvorlage“ wurde. Danke Horst!

„Alles halb so wild!“

Seit Jahren führe ich ein kleines Notizbuch mit mir, in dem ich die alltäglichen Paradoxen und die damit verbundenen Fragestellungen notiere, die mir in meinem bewegten Leben immer wieder begegnen. Tatsächlich finde ich darin auch einen Eintrag zum Thema Nase, nämlich die Frage, warum „Augen Nasen sehen, Nasen aber Augen nicht riechen können“.

Rätselhaft erscheint uns doch diese uns so prägende Körperöffnung, hinter der sich manch verborgener Hohlraum befindet, den es gut zu belüften gilt.

Wusstest du eigentlich, dass die alten Ägypter ihren Königen das Hirn durch die Nase entfernt haben, weil sie der Meinung waren, man müsse für die Reise ins Jenseits einen freien Kopf haben. Dazu benutzen sie jene hakenähnlichen Instrumente wie die, die du beim HNO gesehen hast. Dann versiegelten sie die Hirne in Ton-Gefäßen, stellten diese neben die Sarkophage und überließen ihren Pharaonen das Problem, das Zeug am Ende ihrer Reise wieder in den Kopf zu bekommen, vermutlich wieder durch die Nase. Merkwürdig, oder? Die gefundenen Tontöpfchen waren übrigens erstaunlich klein und belegen, dass es nicht viel Hirn bedarf, um die Welt zu beherrschen. Daran hat sich bis heute nichts geändert, aber ich komme vom Thema ab…

So, unser Kopf besteht wie gesagt in der Hauptsache aus Hohlräumen und etwas Hirn. Darin pulen* etliche HNO-Ärzte, die sich frustriert die Frage stellen, etwa darum so lange studiert zu haben. Das kann es doch nicht sein, nur eine Operation verschafft doch wahre persönliche und finanzielle Befriedigung. Also ab ins Krankenhaus und unters Messer, dann klappt das auch wieder mit der Belüftung und mit der Stimme, meine Liebe!

So denn, Montagmorgens halb acht sollte es auch bei mir losgehen mit Dr. W. Dagarve, dem Arzt meines Vertrauens. Ihm hatte ich nach etlichen Arztbesuchen den Zuschlag erteilt, weil er mir in seiner quirligen Art irgendwie sympathisch erschien und ich zuvor sicherstellen konnte, dass sein ausländisch klingender Nachname keinen ägyptischen Ursprung hat. Der hat immer ein paar Belegbetten im Krankenhaus frei, in das ich mich schon sonntags einliefere, um noch etwas Ruhe zu finden und weil mich der Anästhesist nochmal sprechen möchte.

Während ich auf den warte, notiere ich mir den Begriff „Belegbetten“ in mein Paradoxen-Buch und überlege, ob es denn noch andere Betten gibt. Der Narkotiseur erscheint. Er ist sichtlich gestresst und müde nach 36 Stunden Dienst am Stück, beteuert aber, morgen früh wieder auf dem Damm sein zu wollen, um meine Operation zu überwachen. „Nasenscheidewand begradigen und Nebenhöhlen ausräumen, so so. Alles halb so wild, das macht hier der Pförtner“. Super Witz, denke ich und revanchiere mich bei ihm, während er mich nach vorherigen Operationen verhört und ich ihn daraufhin frage, ob er sich denn nicht an meine Herztransplantation vorletzte Woche erinnere, da wär er doch auch dabei gewesen? Ich liebe Krankenhaus-Witze.

Als der Doktor sichtlich irritiert verschwindet, merke ich doch Nervosität in mir aufkommen. Gehe zur Pforte und frage den älteren Herren hinter dem Tresen, wie lange er denn hier schon  arbeite. „17 Jahre…“ antwortet er und betont, er wäre sehr erfahren. Das beruhigt mich etwas, belege wieder mein Bett und notiere „müder Anästhesist“ in mein Büchlein. An sich ja kein Paradoxon, allenfalls die Frage, wie sich denn ein Anästhesist wachhalten will!

Schwester Helga erscheint, befühlt mich nach Fieber und misst mir den Blutdruck, fragt, ob ich etwas zum Schlafen benötige. Sie verweigert mir die Weinkarte und schlägt vor, die Gute-Nacht-Geschichte könne mir ja die Nachtschwester erzählen, die käme später nochmals nach mir schauen. Letztere ist eine Bekannte von mir und organisiert mir eine kleine Flasche Bier „aus der Inneren“ (das ist ein wahnsinns Paradoxon!!!), die haben da immer Kölsch für die Nierenkranken.

Du siehst, den Tag kriegst du schon rum. Auf Morgen kannst du dich wirklich freuen, der Tag beginnt mit einer Leg-Mich-Am-Arsch-Tablette, die ist wundervoll und macht echt gute Laune! (Erinnerst du dich noch an das Zeug von damals?)

Dann noch das OP-Leibchen an und ab in den Fahrstuhl, samt Belegbett. Die Fahrt geht nach unten und erscheint mir unendlich lange zu dauern. Unten angekommen sehe ich noch Dagarve, komplett in grün gekleidet mit Atemschutz, roten Hörnern auf dem Kopf und Dreizack. Der übermüdete Narkosearzt von gestern lehnt sich über mich, hält mir eine Maske vor die Nase und bittet mich, von 10 bis 0 zu zählen. Er schläft bei der 7 ein, ich bei der 4…

Als ich gegen Mittag aufwache, strahlt mich ein junger in weiß gekleideter Assistenzarzt an, klopft mir auf die Schulter und sagt, dass alles gut sei und ich mit dem neuen Knie sicher bald wieder gut laufen könne…

*Das Verb „pulen“ wird tatsächlich ohne „h“, also nicht „puhlen“ geschrieben!  Paradox! Fröhliches in-der-Nase-pulen! Nähmlich!

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INTENSIV…

Für meinen Vater, gestorben am 01. Oktober 2013

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.

.
Rainer Maria Rilke

„Intensiv…“

…ist es hier auf dieser Station. Im Eingangsbereich sieht es aus wie im Cockpit von Raumschiff Enterprise, überall Überwachungsmonitore im Blicke der in blauen Raumanzügen gehüllten Pfleger.

Es ist nicht so ruhig wie auf der Krebsstation meines Bruders. Überall piepen und klingeln die Geräte. An den Decken hängen Leuchttafeln mit den Patientennummern, deren Daten sich in offensichtlich kritischen Bereichen befinden. Mein Vater hat die Nummer  B0 15.

Ich betrachte die Werte seines geschundenen Körpers, die Herzfrequenz, den Blutdruck, die Körpertemperatur. Die anderen Kurven und Zahlen verstehe ich nicht, muss ich auch nicht. Entscheidend ist, dass eine Berührung seiner Hände oder seiner Stirn die Werte irgendwie beeinflussen, sichtbar.

Er hat kein Bewusstsein mehr, könnte man meinen. Oh doch, er ist da.

Wir sitzen den ganzen Tag an seinem Bett, ich höre seinen schweren Atem. Schmerzen hat er keine, da vertraue ich den Ärzten. Er zeigt
keinerlei Regung, die Augen bleiben verschlossen. Nur wenn die Pfleger nach ihm schauen, öffnen sie ihm sanft die Lider und durchleuchten seine grau blassen Pupillen. Vielleicht sehen seine Augen durch uns hindurch in das Licht des Jenseits.

Im Bett neben meinem Vater liegt ein älterer Mann, ich schätze ihn auf Ende Sechzig. Er ist aus dem Koma erwacht und quält sich in unsagbaren Schmerzen, reißt sich ständig die Schläuche vom Leib. Dann kommen die Pfleger und beruhigen ihn, geben ihm wieder Methanyl. Er leidet unter Morphium-Entzug. Sein Stöhnen und Röcheln ist schier unerträglich.

Mein Vater hingegen ist ganz ruhig. Was für ein Segen. Friedlich ist sein Anblick nicht. Der geöffnete Mund lässt ihn flehentlich
erscheinen.

Papa war ein großer Geschichtenerzähler. Seine letzte erzählte er mir vorgestern Abend, wir tranken unser letztes gemeinsames Glas Rotwein. Die von einem kleinen Affen, der wäre aus dem Zoo ausgebügst und hätte den ganzen Tag am Straßenrand gesessen, um  interessiert den Verkehr zu beobachten. Großes Chaos habe er angerichtet, nur dadurch,dass er da hockte. Ich fragte ihn, ob man das Äffchen wieder eingefangen hätte. „Oh Nein!“ sagte er, in unserem Garten hielte er sich jetzt versteckt.

Was für ein wunderbarer Unterschlupf für den kleinen Chaos-Affen, der Garten meines Vaters.

„Guten Nacht Jung’…“ waren seine letzen Worte an mich.

Und die an meine Mutter waren ein Liebesgeständnis, als sie sich beide ins Bett legten.

Immer kindlicher wurde er in den letzen Wochen. Er hörte auf zu Lesen, schreiben konnte er schon seit längerem nicht mehr. Stundenlang saß er auf dem Balkon und beobachtete die Wolken. Er war in Kriegszeiten Schäfer und vermochte es, das Wetter zu prognostizieren. In aller Regel sehr treffsicher. Er hat mich aber nie in die Geheimnisse seiner Wolkenbeobachtungen eingeweiht.

Gottgläubig war er, zutiefst und kindlich. Hunderte von Gebeten und Meditationen schrieb er in seinen letzten Jahren, hielt wöchentliche Friedensgebets-Treffen in der Kapelle ab. Manchmal hatte ich den Eindruck, er betete fast verzweifelt.

Ich selber habe ihn nie begleitet in seine Kapelle, mir erschien dies alles irgendwie bigott.

Wie mag es mir jetzt erscheinen, wenn ich seine Worte wieder lesen werde, seine Gebete und Meditationen. Oder seine Lebenserinnerungen, die er über seine Kindheit, Schüler- und Studienzeit niederschrieb und damit in diversen Leserkreisen für Furore sorgte.

Darum drehten sich seine Gedanken und immer währenden Erzählungen. Die eines schmächtigen kleinen Jungen in den Anfängen des Krieges als Jüngster von 9 weiteren Geschwistern. Drei von ihnen verstarben im Kindesalter, sein geliebter großer Bruder blieb im Krieg verschollen. Die Eltern verstarben an ihrem Kummer.

Er war letztlich der Intellektuelle, studierte als Einziger mit Bravour und lehnte eine Universitätslaufbahn ab, dafür war er zu
bescheiden. Seine Professoren bewunderten ihn, seine Abschlussarbeitüber Kafka ist bis heute eine „Legende“. Ich habe sie jedoch nie
gelesen.

Ja, er war bis zum Schluss ein sehr ängstlicher Mensch, nie der starke Vater. Immer nur auf unser Wohl bedacht, voller Sorge, jegliches
Risiko ablehnend.

Aber als Lehrer gefürchtet und zugleich geliebt. Aus den Erzählungen seiner Schüler erkannte ich nie meinen Vater, es erschien mir gerade so, als redeten sie von jemand anderem.

Das war seine eigentliche Berufung, und doch blieb er mir auch hier immer geheimnisvoll. Er wollte nicht, dass ich sein Schüler wurde. Und er behandelte mich nie als den seinen, auch wenn ich mir das oft gewünscht hatte.

Er ließ mich ziehen, verjagte mir meine jugendlichen Flausen nicht, belehrte mich nie über meine durchschnittlichen schulischen
Leistungen, gab mir nur wenig Ratschläge in meiner Suche und auf meinem merkwürdigen Lebensweg. Trug all meine Eskapaden ohne Kritik.

Ganz im Gegensatz zu meinen Geschwistern, die er mit strenger Hand erzog.

Wie sehr hatte ich mir doch einen starken Vater gewünscht, doch das war er nie für mich. So glaubte ich es immer in meinen Lebenskrisen, und ich machte ihn mit dafür verantwortlich.

In Wahrheit aber gab er mir schlichtweg seine Liebe und das größte, was man seinem Kind entgegen bringen kann:

seinen tiefen Glauben an mich, und sein bedingungsloses Vertrauen. Und so war ich sein Vertrauter in seinen Lebenskrisen.

Weil er sich in mir sah. Er bewunderte mich.

Und ich bewunderte ihn. Meinen geheimnisvollen Papa…

Es wird jetzt Zeit, mein geliebter Papa. Morgen komme ich wieder und setze mich neben dich. Damit du keine Angst haben brauchst. Warum solltest du dich fürchten vor all den Wundern, die dich erwarten werden..

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ÜBER-LEBEN (…bin dann mal weg)

Inspiration:

Das Ende des Mayakalenders

„ÜBER-LEBEN“

Es ist der 21.12.2012, das Ende aller Tage! Mittlerweile ist es 20:37 Uhr, und ich meine, eben etwas gespürt zu haben, so ein merkwürdiges Surren oder Rauschen in meinem Kopf…

Ich stehe am geöffneten Fenster meines Zimmerchens mit gepacktem Koffer und in meiner Lieblingsjeans, fixiere den Parabolspiegel, den ich intuitiv im oberen Drittel des Gartens installiert habe.

Naja, Parabolspiegel ist vielleicht etwas übertrieben. Nein, es ist eine IKEA Salatschüssel „Blanda Blank“ für unschlagbar günstige 15,35 Euro und mit 36 cm Durchmesser groß genug, um den Gammastrahl locker zu reflektieren, damit die Außerirdischen auf mich aufmerksam werden und mich mitnehmen.

Die universale Sternen-Konstellation hat seit gut einer Stunde die einmalige Position erreicht, es ist nur noch eine Frage von Minuten, bis das todbringende Energiebündel unsere Erde trifft, genau hier, in meinem Garten. Da bin ich mir absolut sicher!

Wo auch sonst, als direkt vor meinen Füßen. Das Armageddon findet hier seinen Ursprung, wird sich spiralförmig über die ganze Erde verbreiten, Tsunami und Flächenbrand entfachend, alles niederwalzend. Bis Mitternacht ist die Erde ein Trümmerfeld. Wehe euch allen!

Aber ich bin darauf bestens vorbereitet. I will survive! Vielleicht ist es ja doch ein Glück, geprügelt durchs Leben zu laufen und zu erkennen, dass Gott ein Strafender ist, der es auf mich abgesehen hat. Na, den werde ich zur Rede stellen, wenn ich lande. Ich werde ihn fragen, was das denn sollte.

Wenn ich zurückblicke auf mein Leben und sehe, wo ich jetzt stehe, ist mir der Weltuntergang willkommen. Als ich kürzlich meine Geschichte einem Menschen erzählte, der mich nicht kannte, inspirierte er mich zu meiner Grabstein-Inschrift:

„Nicht nur finanziell war das Ganze hier ein Desaster…“

Apropos finanziell. In Anbetracht der bekannten Lebensweisheit jenes Weisen, der angesichts des Unterganges ein Bäumchen pflanzen wollte, kam mir der Gedanke, mich selbst als Begünstigtster meiner Lebensversicherung einzusetzen, um wenigstens eine Frucht meines Lebens zu ernten. Darüber habe ich lange nachgedacht. Wie soll das gehen?

Aber es gibt auf alle Fragen eine Antwort, man muss nur suchen:

Meine Versicherungsgesellschaft heißt CosmosDirekt! Die wissen schon, wohin sie die Kohle zu überweisen haben. Für mich ist gesorgt…jetzt kann er kommen, der Untergang!

Es ist 22:21 Uhr, und irgendwas hat da gerade geblitzt, meine ich…ich bin dann mal weg, macht’s gut. Ich schreibe euch, wenn ich angekommen bin.

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MEIN FAHRRAD (frei nach Steven King…)

Inspiration:

Auf einem Spaziergang mit drei Verrückten…

 

 

 

 

„Mein Fahrrad“

 

Mein Fahrrad hat nen Jagdinstinkt!

Mein Hund, der will nur pennen.

Der haut nie ab, bleibt stets bei mir,

mein Rad jedoch will rennen!

 

Ein Rennrad halt, das habe ich.

ganz wörtlich kannst du’s nehmen,

Im Walde außer Rand und Band,

hier geht’s um Tod und Leben!

 

Klinkt aus die Bremse vorder seits,

Beleuchtung abgerissen.

So ungebremst und ohne Licht,

es fährt sich echt beschissen!

 

Gang 7 auch den Berg hinauf,

die andren sechs egal,

es quält mich bis ich nicht mehr kann,

ich hab dann keine Wahl!

 

Ich steige ab, und es rennt los,

verschwindet im Gestrüpp!

Ich ruf nach ihm, weiß nicht wohin,

es finden ist nur Glück!

 

Ich sitz dann da, mein Hund bei mir,

und beide sind am grollen!

Mein Fahrrad aber will nur eins:

Kaninchen überrollen!

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KINDERWUNSCH (…für Anja, Heike und Ela)

Inspiration:

Eine Pilgerfahrt in den Hundsrück

 

„KINDERWUNSCH“

„Na Herr Dichter, schon aufgestanden?“ Gegen Mittag erreicht mich Heikes Email, tatsächlich bin ich gerade erst aufgestanden, Dichter brauchen bekannter Weise viel Schlaf.

Es ist Samstag, der 31. August. Der schöne Spätsommer schwächelt ein wenig, es ist mild und regnerisch. Ich überlege mir mein Outfit, immerhin steht für Heute die Begegnung mit einer Modeikone auf dem Programm.

Anja übermittelt mir via Facebook ihre „mobile Präsenz“ sprich Handynummer, dies sicherheitshalber, damit wir uns bloß nicht verpassen. Treffpunkt Bahnhofsviertel Königswinter um 16:30 Uhr.

Ich bin freudig erregt, das schon seit Tagen. Heike traf ich vor ein paar Wochen das erste Mal seit 20 Jahren wieder auf unserem 30 jährigem Abi-Treffen. Anja leider nicht, sie war an diesem Tag virusbedingt verhindert.

Ach, das wird lustig mit den beiden, und wir haben uns bestimmt wahnsinnig viel zu erzählen nach all den langen Jahren. Und dafür auch genug Zeit, hin und zurück liegen 400 km Fahrt vor uns.

Eine Pilgerfahrt in den Hundsrück nämlich, anlässlich der Autorenlesung von Valeska Réon, die ihr neues Buch vorstellt. Valeska wiederum ist eine liebe Freundin von Anja und Heike,  ich selber lerne sie heute Abend erstmalig persönlich kennen, bislang sind wir lediglich Facebook-Freunde und schreiben uns.

So schließt sich dieser Kreis jener mir bevorstehenden drei Begegnungen, alle an einem Tag. Aufregend, ich freu mich wahnsinnig.

Herzliche Begrüßung, Heike und Anja bereiten mir einen „großen Bahnhof“, als ich pünktlich am verabredeten Treffpunkt erscheine. Wir besteigen mein Auto und die zweistündige Hinfahrt in Richtung Burg Grimburg vergeht wie im Fluge, während wir uns unsere Lebensbeichten gegenseitig abnehmen. Wir erzählen uns in aller Offenheit unsere Geschichten, ich fühle mich wie auf einer Achterbahn, in der wir drei die vordersten Plätze belegen. Will gar nicht aussteigen, als wir unser Ziel erreicht haben, es gibt nichts spannenderes als Lebensgeschichten. Aber es gibt ja noch eine Rückfahrt.

Ankunft gegen 18:30 Uhr, Burg Grimburg bei Hermeskeil, ein Ort im Landkreis Trier-Saarburg, etwa „halb so groß wie der Zentralfriedhof von Berlin, nur doppelt so tot“, so Heike.

Ähnlich wie auf unserer Lebens-Achterbahnfahrt belegen wir auch auf dem Parkplatz den vordersten Platz, Glück gehabt. Vor uns erhebt sich eine wunderschöne alte Burg, in deren Innenhof die ersten „Saar-Hunsrück Literaturtage“ stattfinden. Ein dreitägiges Festival mit durchaus namhaften Autoren, die lesewilligen Zuhörern ihre Werke ans Herz legen. Daneben eine Vielzahl an musikalischer Begleitung unterschiedlicher Bands und Künstler. Zu essen und trinken gibt es auch, Gott sei Dank, Heike hat heute noch nichts Richtiges gegessen und droht zu unterzuckern.

Schöne Stimmung und je dunkler es wird, desto magischer erscheinen die alten Gemäuer im bläulichen Licht einer beeindruckenden Lichtinstallation. Auf der großen Bühne turnt ein fröhlich wirkendes Moderatoren-Pärchen rum. Den einen kenn ich, der hat früher den „Lila Laune Bär“ gemacht und befragt gerade Günther Wallraff zu seinem letzten Projekt, als wir das Gelände betreten.

Nicht schlecht denken wir uns, Wallraff als Vorprogramm von Valeska Réon, na die hat’s geschafft!

Während das Publikum dem charismatischen Günni lauscht, suchen wir Valeska, auch Ela genannt. Sie sitzt mit ihrer Fotografin hinten am Catering-Zelt und freut sich riesig über unseren Besuch. Umwerfendes Kleid, aber das hatte ich nicht anders erwartet. Wir umarmen uns wie alte Freunde, mir wird warm ums Herz.

Ela, Anja und Heike haben sich auch länger nicht gesehen und haben sich viel zu erzählen, eine Stunde vor ihrem Auftritt ist bei Ela von Nervosität nichts zu spüren. Nur Heike ist nervös, sie hat Hunger. Hinter uns bereitet ein italienischer Koch Nudeln mit frisch gebratenen Scampis, Parmesan und Rucola zu. Einstimmige Wahl, wollen wir auch! Wir entscheiden uns dann doch spontan für die Bratwurst im Brötchen, als die letzte Portion Nudeln vor Heikes Bestellung über den Tresen wandert. Zum Trost bringt uns der Koch persönlich einen Eimer Senf an den Tisch, und Ela bemerkt ebenso tröstend, dass Kohlenhydrate am Abend eh ungünstig seien.

Die Moderatorin namens Brigitte setzt sich zu uns und bittet Ela vor ihrem Auftritt um ein kleines Vorgespräch, offensichtlich besprechen die beiden kurz die Inhalte des einleitenden Interviews. Beide verschwinden in Richtung Bühne, während wir noch etwas Herrn Wallraff zuhören, der in beeindruckenden Worten die fürchterlichen Missstände deutscher Paketzusteller beschreibt und mir ein schlechtes Gewissen bereitet, weil ich meine Bücher immer bei Amazon bestelle. Recht hat er, mach ich künftig nicht mehr.

Wir wechseln den Platz in Richtung Bühne, schon wieder erste Reihe, Bingo! Mittlerweile gibt Wallraff Autogramme im Autorenzelt, Ela schreibt eine Widmung in das Autogramm-Album eines Fans, der sie noch um ein Foto bittet und sichtlich stolz gerührt zu seinem Platz zurückkehrt. Auf der Bühne findet noch die Auslosung der Tombola statt, der italienische Koch gewinnt einen Fresskorb und die stellvertretende Bürgermeisterin von Hermeskeil spendet ihren Gewinn, einen Rundflug über die Region einer bedürftigen Familie.

Der lila Laune Bär bringt noch eine kleine musikalische Einlage mittels eines selbstgeschriebenen Liedchens auf einer schlecht gestimmten Gitarre. Dann wird Ela auf die Bühne gebeten, Brigitte beginnt mit dem Interview, befragt sie nach ihrem achterbahnartigen Lebensweg und ihrer außergewöhnlichen Karriere.

Ela lässt es sich nicht nehmen, Anja eigens zu begrüßen, gegen die sie in frühen Schulzeiten einen Lesewettbewerb gewann. Dann nimmt sie an dem großen Lesetisch platz und verzaubert uns wie aus dem Stehgreif für die nächsten 45 Minuten mit Auszügen aus ihrem neuen Buch „Das falsche Spiegelbild“…

Wunderbar!

Pünktlich 21:00 Uhr verlässt sie unter dem Applaus des Publikums die Bühne und schenkt uns dreien jeweils ein Exemplar ihres Buches mit persönlicher Widmung. Mir schreibt sie:

„Für Norbert, ich wünsche mir noch viele Gedichte von dir.“

Versprochen, liebe Ela!

Es ist kalt geworden, wir beschließen aber, noch etwas zu bleiben. Ela verzichtet auf die Signier-Stunde im Zelt und bleibt lieber bei uns. Gute Wahl, hätte sie sonst wohlmöglich den anschließenden Auftritt von Robert Erzig verpasst, der in der folgenden Stunde das Publikum mit fröhlichen Liedchen zu erwärmen versucht.

Brüller! Inhaltlich geht es vorrangig um Themen wie Katzenfutter mit Mäusegeschmack oder Männer und Frauen vor Toilettenhäusern. Heike verfällt im Laufe seiner Performance in zunehmende Euphorie.

Herr Erzig begeistert das eskalierende Publikum mit Refrains wie

„Oh je, oh je, oh je… „, während Heike ein virtuelles Plakat mit der Aufschrift

„ICH WILL EIN KIND VON DIR!!!!“

in die Luft hält, als sich Erzig einen grünen Hut mit Rasierpinsel aufsetzt, um uns anschließend mit einem lustigen Jägerliedchen zu erfreuen. Wir ringen um Luft, so gelacht habe ich lange nicht mehr. Besonders nach dem sich Erzig ausdrücklich bei der Festivalleitung für die tolle und (fast) fehlerlose Organisation bedankt und wir zu dem Schluss geraten, diesen schweren Fehler seines Auftritts der Orga-Leitung zu verzeihen.

Während Ela befürchtet, ihm wohlmöglich Morgen beim Frühstück-Buffet im Hotel zu begegnen, sorge ich mich um Heike, die droht, hemmungslos über Herrn Erzig herzufallen, sobald dieser sein Programm beendet hat, um ihren dringlichen Kinderwunsch nachhaltig Ausdruck zu verleihen. Aus Sicherheitsgründen verlassen wir also kurz nach 22:00 Uhr alle die Veranstaltung, werden aber noch von der für Mitternacht angekündigten Band „Who´s Next“ aus Köln verfolgt, die uns flehentlich darum bittet, doch bitte nicht zu gehen.

Wir verabschieden uns von Ela und ihrer Begleitung.

Die Rückfahrt verläuft ähnlich zeitlos, was für wundervolle Gespräche.

Und was für wundervolle Begegnungen! Alle an einem Tag…

 

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